Heimat hinter Horizonten
02.09.-30.10.2009
Malerei und Fotografien
Georg Janthur – Malerei
Andreas Komotzki – Fotografien
Ausstellungseröffnung "Heimat hinter Horizonten"
(Format: Flash Video)
Die Bilder von Georg Janthur und Andreas Komotzki erzählen vom Reisen, von Ferne, Unendlichkeit und Sehnsucht, von Heimat, Vertrautheit und Nähe, von imaginären Orten und farbintensiven Naturräumen. Der Maler und der Fotograf wählen als Hauptmotiv ihrer Bildwelten die Landschaft und thematisieren damit eines der klassischen Sujets der Kunstgeschichte.
Die Anfänge der europäischen Landschaftsmalerei reichen zurück bis in die Renaissance: Albrecht Dürer nennt 1521 in seinem Niederländischen Tagebuch den Künstler Joachim Patinir „meister Joachim, der gut landschafft mahler“ (Anm. 1: Albrecht Dürer, Schriftlicher Nachlass, hrsg. von H. Rupprich, Berlin 1956, Band I, S. 167) und erwähnt damit erstmalig in Europa die Bezeichnung Landschaftsmalerei. Das Tafelbild „Petri Fischzug“ von Konrad Witz, entstanden 1444, gilt als erstes Werk, das Landschaft topografisch realistisch darstellte und eine bestimmte Stelle am Genfer See als Kulisse für ein christliches Thema wählte. Das Wort „Land“ bedeutete in den germanischen Sprachen „Erdboden“, „Festland“, „dörfliche Gegend“ oder „Staat“. Der Zusatz „Schap“ bezeichnete ursprünglich den Zustand und die Beschaffenheit des Landes, in dem Menschen lebten. In der Malerei gilt die Landschaft seit dem 15./16. Jahrhundert als eigenständige Bildgattung und charakterisiert die bildliche Darstellung eines Naturausschnitts.
Durch die Jahrhunderte wandelte sich die Intention der Landschaftsmalerei, die von der Renaissance, über die niederländische Malerei, den Klassizismus und die Romantik, den Impressionismus und Expressionismus bis in die Abstraktion wesentlich zur Formulierung der Stile beigetragen hat. Die Landschaft wurde zum Bedeutungsträger zwischen Ideal und Wirklichkeit, Abbild und Sinnbild, topografischem Ort und transportierte Stimmungen als Spiegel innerer Empfindung. „Landschaft ist Natur, die im Anblick für einen fühlenden und empfindenden Betrachter ästhetisch gegenwärtig ist“ formulierte der Kunsthistoriker Joachim Ritter in den sechziger Jahren (Anm. 2: Joachim Ritter: Landschaft. Zur Funktion des Ästhetischen in der modernen Gesellschaft. Schriften zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität, Heft 54, Münster, 1963)
Die Aneignung der fremden Landschaft auf Reisen und akademischen Exkursionen war den Künstlern ebenso wichtig wie die Darstellung der vertrauten näheren Umgebung. Schon im 17. Jahrhundert reisten die Maler nach Italien, um die unbekannte Welt mit dem Skizzenblock zu erschließen. Auch die Dichter eroberten mediterrane Gefilde und Goethe beschrieb seine Erlebnisse 1786 in seiner „Italienischen Reise“. Im 19. Jahrhundert folgte die zweite Künstlergeneration und faszinierte das Bürgertum zuhause mit Darstellungen der majestätischen Alpen ebenso wie mit fremdländischer südlicher Atmosphäre. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hielten Paul Klee, August Macke und Paul Gauguin ihre Eindrücke nordafrikanischer Gegenden oder des exotischen Südseelebens in Polynesien auf der Leinwand fest. Auch im 21. Jahrhundert ist die künstlerische Auseinandersetzung mit dem traditionellen Thema wieder aktuell.
Was fasziniert die Künstler im Zeitalter von Globalität, Mobilität und weltweiter Vernetzung am althergebrachten Motiv der Landschaft? Wozu unternehmen die Künstler der Computergeneration noch Reisen, die sie künstlerisch inspirieren sollen, im Hinblick auf Satellitentechnik, die jeden Ort der Erde ansteuern und bildlich darstellen kann?
Der Maler Georg Janthur hat die berühmte Tunisreise, die Paul Klee und August Macke 1914 antraten, über neunzig Jahre später noch einmal unternommen und seine ästhetischen Erlebnisse in Skizzenbüchern dokumentiert. Vor kurzem ist er auf den Spuren von Heinrich Heine durch den Harz gereist, suchte die Orte auf, die der große deutsche Dichter 1826 beschrieb. Der Wuppertaler Künstler hat seine persönlichen Impressionen der Tour in die Bildsprache der Gegenwart übersetzt. Jüngste Reisen führten Georg Janthur nach Estland und Litauen, in die Ukraine, nach Polen, Rumänien, Tschechien und in die Slowakei. Vor Ort entstanden hunderte von Skizzen. In unzähligen kleinformatigen Heftchen hielt der Künstler mit Bleistift und Aquarellfarbe fest, was er auf seinem Weg zu Fuß, mit dem Bus oder dem Zug entdeckte. Dazu gehören urbane Lebensräume und Architekturensembles: eine Datscha oder typische Plattenhochhausbauten, die ihm in den osteuropäischen Hauptstädten auffielen. Attribute der alltäglichen Lebenswelt Osteuropas, Werkzeug und Maschinen, Heuernte und Obst im Einweckglas bedeuteten für den Künstler aber auch eine Konfrontation mit der Vergangenheit und die Rückbesinnung auf Dinge und Gewohnheiten, die ihn an seine westdeutsche Kindheit erinnern.
Die beeindruckende Berg-welt der Hohen Tatra, die weiten Ebenen des Baltikums und die Faszination der menschenleeren, ausgedehnten Landschaften des Ostens wurden zeichnend festgehalten und im Atelier in Wuppertal auf die Leinwand gebracht. Mit breitem, vitalem Pinselstrich zeigt uns der Maler die Natur, Wald, Wiesen, Felder, Bäume und Himmel. Er verwandelt eindrucksvolle Gebirge zu kraftvollen Farbfeldern und energiegeladenen Linien, deren Spuren die Schnelligkeit der Malgeste verraten, die trotz des intensiven Tempos durch ihre Präzision überzeugt. Die frischen und kräftigen Farben verleihen den Landschaften bestechende Klarheit und monumentale Präsenz.
Georg Janthur bewegt sich auf dem Grat zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit und schafft eine Bildsprache, die durch das perfekte Zusammenspiel von Motiv und Malgeste, Farbe und Fläche eine spirituelle Spannung erzeugt, deren sinnliche Energie und kraftvoll strahlende Dynamik intensiv spürbar ist. Die Farbe lebt, die Landschaft atmet – beides ergänzt sich kongenial zum Äquivalent unserer tiefsten Empfindungen. Obwohl Georg Janthur Landschaft nicht 1:1 abbildet, ist ihm die Lokalisierbarkeit der Naturausschnitte wichtig. Die Entstehungsorte werden im Bildtitel auch konkret benannt: „Hohe Tatra“, „Osthaus Kosice“ oder vage „Ostlandschaft“.
Hier liegt, neben der Farbgebung, ein wesentlicher Unterschied zu den Arbeiten von Andreas Komotzki. Der faktische Ursprungsort der Arbeiten hat für den Fotografen keine Bedeutung. Das Instrument der Wahrnehmung ist für den Künstler die Kamera, die er auf Reisen stets bei sich trägt, um aus dem fahrenden Zug oder dem Auto heraus die vorbeiziehende Landschaft festzuhalten. Unzählige Aufnahmen entstehen, von denen Komotzki nur wenige auswählt und weiterbearbeitet. Die Fotografie dient als „ein Spiegel“ der Welt, der „das Vertraute, das Bekannte“ zeigt. (Anm. 3: Roland Barthes: Mythologies, Paris, 1957.) Konsequent werden die namenlosen Orte reduziert schwarzweiß abgebildet; sie tendieren wirkungsvoll und spannungsreich zwischen Realität und Imagination. Die erstarrte Bewegung eines Augenblicks mutiert zu statischer Ewigkeit.
Systematisch dient dem Künstler die Horizontlinie als ordnendes Prinzip, das jede Bildkomposition bestimmt und den Bildern kontemplative Ruhe verleiht. Der Horizont ist mehr als eine kompositorische Gerade zwischen Himmel und Erde: Er vermittelt die Ahnung einer Welt jenseits der horizontalen Blickgrenze und wird zum Sinnbild für das Sehnsuchtsmotiv, das die Geschichte der Landschaftsmalerei begleitet. „Die Imagination macht erst die Landschaft“ konstatierte Charles Beaudelaire in seiner Schrift „Zur Ästhetik der Malerei“ und verdeutlichte damit bereits die wesentliche Rolle des Menschen, der Landschaft subjektiv empfindet und somit im Gefüge Landschaft, Künstler und Betrachter eine entscheidende Rolle spielt. (Anm. 4: Charles Beaudelaire, Zur Ästhetik der Malerei und der Bildenden Künste, München, o. J., S. 242)
Den Fotografien liegt eine klare, geometrische, minimalistische Aufteilung zugrunde, die Räume schafft, deren geistige Stärke uns tief berührt. Die schwarzweißen realen Landschaften erscheinen als ideale Darstellung der Einsamkeit und Melancholie und als Metapher der Unendlichkeit und Freiheit. Die Leere wird zur Projektionsfläche unseres eigenen ästhetischen und emotionalen Empfindens. Die bewusste Unschärfe der Bilder erzeugt eine geheimnisvolle Aura, die verfremdend eine Präsenz der abgebildeten Realität in Frage stellt und sie ephemer und ungreifbar erscheinen lässt. Den Fotografen interessiert die malerische Wirkung der Oberfläche, die durch die Verwendung von Büttenpapier und den Einsatz von Unschärfe erreicht wird. Die Wirklichkeit abbildende objektive Funktion der Fotografie ist aufgehoben. Kunst dient als Mittel unsere Wahrnehmung zu erweitern und eine mentale Einheit mit der Welt zu schaffen. Die unglaubliche Stille, die das fotografische Werk Andreas Komotzkis prägt, ist in unserer reizüberfluteten Medienwelt ein meditatives Erlebnis, das den Blick auf unsere Existenz schärft.
Fernand Léger hatte 1925 in einem Essay behauptet, es gebe keine Landschaftsmalerei mehr. (Anm. 5: Fernand Leger, „Sehr aktuell sein“, in: Europa-Almanach, hrsg.v. Carl Einstein und Paul Westheim, Potsdam 1925) Betrachtet man die Tendenzen des Kunstmarktes, das Programm der Galerien und die Verkaufserfolge auf den internationalen Kunstmessen, stellt man schnell fest, dass seine Einschätzung falsch war. Die Landschaft ist zu Beginn unseres Jahrhunderts eine feste Größe auf dem Gebiet der Gegenwartskunst.
Auch die Auseinandersetzung mit „Heimat“ ist in unserer grenzenlos vernetzen Welt zeitgemäß. Bei allen negativen Konnotationen, die diesem Wort wegen unserer unheilvollen deutschen Geschichte anhaften, gibt es in der mobilen Gesellschaft das Bedürfnis nach Neubewertung und Definition dieses Begriffs. Der Ausstellungstitel „Heimat hinter Horizonten“ mag zunächst paradox erscheinen, verorten wir die Heimat doch gerade nicht in der Ferne. Verschiedene Bedeutungsebenen sind denkbar: Heimat als Gefühl, Heimat als Ort der Geborgenheit, der Sehnsucht, der Ferne und der Nähe. „Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen.“ schrieb Theodor Fontane 1861 im Vorwort zu den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ und beschrieb damit seine persönlichen Erfahrungen mit dem Fortsein. Heimat können aber auch Geräusche oder Gerüche sein, die in der Erinnerung liegen. Heimat ist nicht nur ein Ort, sondern vor allem eine Empfindung, die auch hinter dem Horizont zuhause sein kann, fernab der geografischen Herkunft.
Die Bilder von Andreas Komotzki und Georg Janthur sind ein Plädoyer für die Aufhebung von Grenzen zugunsten einer Identität, die ihren Ursprung in der Kunst hat und Schranken überwindet.
Da und dort,
irgendwo und nirgendwo
ist überall.
Heimat bedeutet Verwurzelung, als Motivation und Anlass, sich vorwärts zu bewegen, reisend, denkend, reflektierend und fühlend in stetiger Entwicklung zu uns selbst.
Gisela Elbracht-Iglhaut
Stellvertretende Direktorin
Kunstmuseum Baden Solingen