Streifzug
7.9. - 4.11.2022
Die 143. Ausstellung der Reihe Kunst in der Sparkasse.
STREIFZUG
Tatjana Valsang
Energie, Stille, Licht, Schönheit
Die Stadtsparkasse Wuppertal präsentiert eine eindrucksvolle Werkschau der Malerin Tatjana Valsang
Diese Bilder bilden nichts ab – und doch entdeckt man in ihnen eine ganze Welt. Eine unbekannte Welt, irgendwo in einem Zwischenreich, das ohne die Malerei von Tatjana Valsang jenseits des Sichtbaren läge.
Es sind große Formate allesamt, aber man kann sie betrachten und sich in ihnen verlieren wie beim Blick durch ein Mikroskop, wenn sich ein Wassertropfen plötzlich als ein ganzer Teich offenbart, von ineinanderfließender Vielfarbigkeit und mit feinststrukturierten Kleinstlebewesen bevölkert. Mit blasenartigen Amöben oder Pantoffeltierchen mit feinen Wimpern. Die auf einem Valsang-Gemälde dann allerdings riesengroß erscheinen. – Aber schon sind wir doch wieder im Bereich der sichtbaren Welt, obwohl die Malerei von Tatjana Valsang von jeder Art Gegenständlichkeit denkbar weit entfernt ist. Trotzdem ist der Assoziationsraum, den sie eröffnet, endlos. Man mag an das Gefieder exotischer Vögel denken, an die sich wiegenden Tentakel einer Seeanemone, an Wellenschaum, an ein ausgefranstes Blütenblatt, an Farnartiges, Schneckenhaftes …
Mikro- oder Makrokosmos – vieles lässt sich in ihren Bildern erahnen, aber niemals greifen. Was die Malerin auf der Leinwand entstehen lässt, hat man noch nie gesehen, aber es wirkt trotzdem nicht fremd. Und selbst dann, wenn es sich um gänzlich assoziationsfreie Formen handelt, um Farbflächen, die sich überlagern und manchmal auch zu explodieren scheinen, dann schwingt da doch noch mehr mit als reine abstrakte Malerei, der es nur darum geht, die Autonomie der Bildmittel zu zelebrieren. Dieses „mehr“, das da mitschwingt, lässt sich wiederum kaum greifen. Ein Aufgeladensein mit Emotion, wie man es aus dem abstrakten Expressionismus kennt, ist es jedenfalls nicht. Selbst in den weit ausholenden, breiten Pinselschwüngen, an denen man noch die Bewegung der Künstlerin beim Malprozess erkennt, ist keinerlei persönliche Befindlichkeit abzulesen. Tatjana Valsang tritt vollkommen hinter ihre Werke zurück. Das Einzige, das sie über die Persönlichkeit ihrer Schöpferin preisgeben, ist deren untrüglicher Sinn für: Schönheit. Er manifestiert sich in den exquisiten, harmonischen Farbklängen, die sogar dann noch reichhaltig und vielstimmig wirken, wenn sich scheinbar nur ein wenig Gelb oder Blau unter dominierende Grautöne mischt.
Es gibt Farbklänge von lichter Heiterkeit, die einen ganzen Raum unmittelbar mit Helligkeit fluten können, und solche, deren differenzierte Gestimmtheit sich erst bei längerer Betrachtung erschließt. Es gibt Gemälde, die mit großen, wohl ausgewogenen Flächen Ruhe ausstrahlen, und andere, die eine geradezu explosionshafte Energie entwickeln.
In jedem Fall füllt das Zusammenspiel der Formen, Flächen und Schwünge den Bildraum in perfekter Ausgewogenheit aus – und weist zugleich fast immer über ihn hinaus. Das Fließen einer Farbfläche, der Schwung einer Pinselspur lassen sich meist über den Bildrand hinaus weiterdenken, im Prinzip als ein endloses, quasi naturhaftes Geschehen.
Die perfekte Harmonie, welche die Bilder von Tatjana Valsang ausstrahlen, lässt umso mehr staunen, wenn man weiß und bedenkt, dass sie in einem Zusammenspiel aus Planung und Zufall entstehen. Die Künstlerin entwickelt für jedes Bild einen genauen Plan, den sie in Skizzen und Notizen festhält – und der dann „im Malprozess verlässlich
vom Geschehen durchkreuzt wird“, wie es Rob de Vry im Katalog zur Ausstellung beschreibt. Valsang legt die aufgespannten Leinwände meist auf dem Boden aus und trägt stark verdünnte Acrylfarbe auf, geschüttet oder in großen Schwüngen verstrichen. Die durchscheinenden Lasuren überlagern sich, schimmern durch, sind ahnbar auch da noch, wo augenscheinlich ein leuchtendes Blau, ein kräftiges Rot die Führung übernommen haben. Sie arbeitet mit Besen, Bürsten, aneinandergebundenen Pinseln und setzt Akzente mit feinen farbigen oder schwarzen Linien. Das Zerfließen von nass in nass aufgetragener Farbe, die an den Rändern häufig feine Verästelungen bildet oder sich kapillarartig ausbreitet, lässt sich im Ergebnis nie vollständig kontrollieren. Indem sie den flüssigen Farben ein transparentes Verdickungsmittel beimischt, kann sie diese aber immerhin in der Bewegung dirigieren. Die Künstlerin bezieht das Zufallsgeschehen in ihre Bildfindung mit ein – aber sie überlässt dem Zufall nicht das Feld. Rob de Vrij fasst es so zusammen: „Das Bild vermittelt, was passieren soll, und darauf muss sie adäquat reagieren mit Ergänzungen, Änderungen, Korrekturen, neuen Schichten und Übermalungen. Und ständig muss sie überprüfen, ob der Eingriff den Erwartungen entspricht und ein Schritt vorwärts ist in der Bildfindung."
Tatjana Valsang hat diesen sehr individuellen Prozess der Bildfindung über einen sehr langen Zeitraum perfektioniert. Geboren 1963 in St. Tönis als Tatjana Verhasselt, studierte sie von 1983 bis 1993 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Klaus Rinke und als Meisterschülerin bei Dieter Krieg. An der Akademie lernte sie ihren späteren Mann kennen, der zu diesem frühen Zeitpunkt noch im Orientierungsbereich lehrte: Tony Cragg, später Akademiedirektor und weltberühmter Bildhauer. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass es nach ihrem Akademieabschluss fast 20 Jahre dauerte, bis die Künstlerin mit ihren Arbeiten erstmals an die Öffentlichkeit trat und sich dafür den Künstlernamen Valsang gab (nach einem Ort in Schweden, wo die Familie einen Zweitwohnsitz hat). 20 Jahre, in denen sie im Stillen arbeitete, experimentierte, ihren ganz eigenen Stil entwickelte – und niemandem ihre Bilder zeigte. Selbst ihrem Mann, mit dem sie in Wuppertal lebt und zwei inzwischen erwachsene Kinder hat, gewährte sie wie allen anderen keinen Zutritt zu ihrem Atelier in einer alten Fabrikantenvilla in Unterbarmen.
Erste Schritte in die Öffentlichkeit machte Tatjana Valsang 2011 und 2012 mit Ausstellungen in der Galerie Konrad Fischer in Düsseldorf. 2013 gewann sie der damalige Leiter des Wuppertaler Von der Heydt-Museums, Dr. Gerhard Finckh, für eine große Einzelausstellung in der Kunsthalle Barmen – ein Paukenschlag, der weithin wahrgenommen wurde. Wann hatte man je eine Künstlerin mit einem solch individuellen, ausgereiften, überzeugenden und üppigen Werk quasi aus dem Nichts hervortreten sehen? Tatjana Valsang hat seitdem einige Male ausgestellt, u.a. in Berlin, Stockholm und in Florenz. Der Stadtsparkasse Wuppertal ist es zu danken, dass man nach beinahe zehn Jahren nun auch wieder bei uns in den Genuss ihrer Kunst kommt. Von den insgesamt 47 unter dem Titel „Streifzüge“ ausgestellten Arbeiten sind allerdings nur die großen Formate im Kundenforum am Islandufer und in der Glashalle am Johannisberg zu den Geschäftszeiten öffentlich zugänglich. Weitere Arbeiten hängen in den Fluren und Büros des „Private Banking“. Eine letzte Führung durch die gesamte Ausstellung inklusive dieses Bereichs findet am 13. Oktober statt – dann führt der Weg über die Glasbrücke, die beide Gebäude über die B7 hinweg verbindet. Ansonsten bleibt Interessierten nichts anderes übrig, als den Weg vom Islandufer am Gebäude vorbei hinauf auf den Johannisberg zu nehmen. Man sollte die Mühe nicht scheuen und nicht den umgekehrten Weg nehmen: Die Ausstellung belohnt mit einem wunderbaren Schlussakkord, der nach drei Bildern von lichter Heiterkeit mit einem Ton ausklingt, der die Ruhe eines schwedischen Sees in der Abenddämmerung vermittelt. // Anne-Kathrin Reif