Andreas Steffens Zeichen-Reich Ike Vogts minimalistische Zeichenkunst An nichts arbeiten die Künstler, seit es die Moderne gibt, sich so sehr ab wie an der Wirklichkeit der Zeichen. Du kannst dich nie auf einen Weg festlegen, und überleben kannst du nur, wenn du nichts nötig hast. Du musst auf der Stelle haltmachen, dein Vorhaben fallenlassen und umkehren können. Schließlich gibt es nichts, was es nicht gibt. Und darum musst du lernen, die Zeichen zu deuten (Paul Auster, Im Land der letzten Dinge. Roman, 1987, Reinbek 1989, 14). Lernen, die Zeichen zu deuten – in unserer Welt symbolischer Kommunikation gibt es nichts Wichtigeres. Wer jemals versucht hat, mit Bewusstsein zu lernen, weiß, dass man nur durch Ausübung lernt: Zeichen verstehen lernt man, indem man welche herstellt. Ike Vogts Zeichen-Räume sind das Ergebnis einer solchen poietischen Arbeit. Über Jahrzehnte betrieben, hat sie ein ganz eigenes Reich von Zeichen hervorgebracht. „Reich der Zeichen“ – das lässt an Roland Barthes spätes Buch „Reich von Zeichen“, in dem er seine eigene Wahrnehmung Japans aus der Ferne beschrieb, ebenso prompt denken, wie man angesichts dieser Zeichen-Räume Ike Vogts „asiatisch“, „japanisch“ assoziiert. Das ist ganz angemessen und durchaus erwünscht. Denn diese Beziehung ist ihre eigene. Aber es ist eine Beziehung lockerer Assoziation. Eine Auseinandersetzung mit japanischer Kultur findet in dieser Arbeit nicht statt. Am Werk ist hier nicht mehr als eine Analogie, jedoch konsequent und streng verdichtet zu einer eigenen individuellen Haltung im Umgang mit den Dingen der eigenen Welt. Eine existentielle Kunstpraktik brachte eine Ästhetik der Lebensführung hervor, die sich in den Gestalten der Werke spiegelt. Eine authentische Beziehung zu der nie aus eigenem Augenschein gesehenen Kultur der ästhetischen Inspiration gibt es jedoch: die „Kyogi“, hauchdünne Holzabschnitte, sind traditionelle japanische Alltagsutensilien, die auf dem Land noch heute als Einwickelstoff für Lebensmittel dienen. Als künstlerisches Material werden sie zu Bildträgern: zum Stoff, auf den mittels Computergrafikprogrammen generierte abstrakte Zeichnungen gedruckt werden – Hightech-Klecksografien gleichsam. Spiele mit grafischen Zufällen, in der Reihenanordnung zu raumbildenden Serien miteinander verbunden. Die Verwandlungen, denen sie einen fremden Alltagsgegenstand aussetzen, lassen das eigene alltäglich Vertraute im unwillkürlichen Vergleich der Assoziationen zwar nicht fremd, doch seltsam werden. Sie lassen aus diesen einfachen Dingen eine eigene Poesie hervortreten, die in ihnen schlummert, jenseits der Möglichkeiten ihrer funktionellen Verwendungen, zu denen sie bestimmt waren, in denen sie sich jedoch nicht erschöpfen. Was als Training der Einbildungskraft für unsere Phantasie früher Märchen leisteten, geschieht hier, die Verwandlung des Bekannten zu einem unbekannten Universum anderer möglicher Beziehungen. So entstehen Meditationsräume, Verwandlungszonen. Diese ‚Zeichen’-Objekte erinnern an etwas, das unbestimmt, ungreifbar bleibt, weil man das, woran sie erinnern, selbst nicht, noch nicht, kennt. Denn alles Erkennen ist ein Herstellen. In den ‚Kyogi’ ebenso wie in den kalligraphischen Handzeichnungen in der Tradition freier, informeller Abstraktion vollzieht sich ein hochartifizielles Spiel mit den Unvollkommenheiten, ja Unmöglichkeiten kultureller Wahrnehmungen. Das Japan, das man in ihnen wiederzuerkennen meint, ist ein Japan, das es nicht gibt. Es ist ‚Zeichen’ für ein ‚Reich’, das sich in den Dingen und in uns, die wir mit ihnen leben, ohne sie wahrzunehmen, als terra incognita befindet. Mit Exotik hat das nichts, mit den ungehobenen Schätzen des Möglichen sehr viel zu tun. | |