(dieser Text erschien als Liner Notes zu der CD „Shanghaied on Tor Road“, the world’s 1st operetta performed on nothing but the daxophone) Das Daxophon ist klein. Als ich vor Jahren anfing, es bei Konzerten einzusetzen (neben meinem „normalen“ Gitarrenkram), mutmaßten viele Leute, ich wolle auf der Bühne ein Feuer machen, wegen der weißen Colophoniumwolken, die im Scheinwerferlicht besonders ins Auge fallen. Ansonsten war ja auch nicht so viel zu sehen – ein Cellobogen in der rechten Hand, ein flaches Stück Holz in der linken, und ein schmales, dünnes Brettchen, per Schraubzwinge an einer Tischkante oder an einem Barhocker festgeklemmt. Dem näheren Betrachter fiel normalerweise sofort eine Ähnlichkeit mit irgendwelchen Küchenwerkzeugen auf: Tortenheber, Bratkartoffelwender, Kochlöffel. Das ist auch kein Wunder — mein erstes Spielzeug dieser Art war in der Tat ein echtes deutsches Erbsensuppenumrührding. Oder andersrum: in jedem normalen Haushalt wird wahrscheinlich ungewußt/ungewollt ein Daxophon schlummern. Laut war es von Anfang an. Obwohl ein rein „akustisches“ Gerät, läßt es sich mit einem einfachen Kontakt-Mikrophon problemlos auf Ohrenkiller verstärken. Ein entnervter kalifornischer Rezensent schrieb mal, er fühlte sich an gefolterte Maulesel und Affen und Geflügel erinnert (Tierversuche), und das ganze Ding sei eigentlich nur ärgerlich wie der bellende Hund des Nachbarn. Die Idee, dieses Marterwerkzeug einmal vielstimmig in Studio-Mehrspurtechnik aufzunehmen, stammt von meinem kanadischen Freund und Gitarristen René Lussier. Wir hatten erstmals 1990 mehrstimmig gedaxt (auf dem New Music America Festival in Montreal), zusammen mit Claude Simard, als drittem Daxmann, und den drei Cellistinnen Tom Cora, Anne Bourne, Eric Longsworth. Das Sextett hieß „Last Leg“. Die Leute standen drauf, vor allem, weil dem guten Tom sein vollgepackter Notenständer von der Bühne herunterfiel, was eine längere Pause noch sich zog. Die allerersten Sprechversuche des Daxophons gibt es auf meiner LP „The Dawn of Dachsman“ zu hören. Schon etwas geschwätziger kommt es auf der Duo CD „Angel Carver“ daher (FMP CD 15, zusammen mit Tom Cora, der auf seinem Cello-Steg ähnliche Dinge macht, allerdings mit einer anderen Technik). In dem nun hier vorliegenden Opus hat es sich von einer Beilage zu einem Hauptgericht gemausert: das „nothing but“ auf der Titelseite stimmt zu 99,9 % – die einzige Ausnahme ist die drum machine im Stück #5. Na klar hatte ich den schnöden Hintergedanken, einmal in kompakter Form zu zeigen, was dieses oft belächelte lnstrumentchen so alles kann. Und zwar pur. Mit anderen Worten, man hört auf dieser CD nur das in Schwingung versetzte Holz und eventuell noch das Zittern meiner Hand, aber sonst gar nichts. In den meisten Fällen mit einem Baßbogen angestrichen, angerissen, angetupft, oder gelegentlich perkussiv mit einem Bleistift angeklopft, der am oberen Ende ein kleines Radiergummi hat. In einem Fall (#8) spielt ein dünnes Eisensägeblatt mit. Der Versuchung, Effektgeräte einzusetzen, konnte ich lediglich in zwei Punkten nicht widerstehen: 1. Das öfters vorkommende Vibrato ist zwar von Hand machbar (schaukeln), aber die Tonhöhen-Modulation eines Echogerätes ist dafür genausogut und auch bequemer — außerdem bringt das in diesem Fall mehr Schmalz. 2. Bei einigen wenigen Hintergrund-Spuren gibts eine Oktav-Dopplung, die man bekanntlich mit einem billigen Harmonizer macht. (Dagegen ist der oft auftauchende wahwah-artige Effekt holz-immanent). Ansonsten war der reguläre Aufnahmeweg: Kontaktmikrophon — Vorverstärker — Tonband. Anstatt jetzt über die Musik und die brennenden Fragen des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu plaudern, möchte ich lieber noch einige nähere Einzelheiten über dieses Ding nachschieben – wie es aufgebaut ist, wie es funktioniert, oder auch nicht funktioniert. Die Leute, die das alles schon kennen, können hier das Heftchen zuklappen oder auch weiterlesen. Also – das Daxophon zählt zur Familie der Idiophone, das sind alle Musikinstrumente, die aus sich selbst heraus klingen und kein anderes Medium (wie z. B. Saite, Membrane, Luftsäule, Computer Terminal) brauchen. Es besteht im Wesentlichen aus vier Teilen, von denen zwei mechanisch miteinander verbunden sind, zwei aber nicht. (1) Ein Bogen (ob Geigen-, Cello- Baßbogen oder sonstwas, ist Geschmacksache). Dieser Bogen regt mit seinem Strich (2) den eigentlichen Klang-erzeuger zur Schwingung an. Das ist in meinem Fall ein Holzbrettchen, durchschnittlich 330 mm lang, 30 mm breit, 5 mm dick. Dieses Stück Holz ist an seinem, sagen wir mal, Fußende mittels einer Klemmvorrichtung mit (3) dem Resonanzkästchen verbunden. (In diesem sitzen ein oder mehrere Kontaktmikrophone, die das akustisch/sensorische Signal elektrisch weiterleiten.) Das andere Ende des Brettchens ist freischwebend. Sein (durch den Bogenstrich verursachtes) Schwingungsverhalten, d. h. die Tonhöhe und die Klangfarbe, wird manipuliert durch (4) einen flachen Holzkeil, den ich der Einfachheit halber „Dax“ nenne. Er ist auf mindestens einer Seite leicht gewölbt und wird auf dem besagten Brettchen mit leichtem Druck schaukelstuhlartig hin- und hergewippt. Dieser Schaukel-Dax ist der Clou an der ganzen Sache, weil er weitgehend mechanische Reibung vermeidet. Man kann denselben Effekt auch mit jedem anderen harten Gegenstand erzielen (z. B. mit einem Messergriff) – aber das Hin- und Herschaben oder -klopfen verursacht dann im Kontaktmikrophon so viele Störgeräusche, daß man das Ganze nach kurzer Zeit leid ist. Einer meiner Daxe ist auf einer Seite mit Gitarrenbünden bestückt, deren Abstand zu einem Ende hin immer geringer wird, wie bei einem Gitarrengriffbrett. Benutzt man diese Seite, so ergeben sich tonleiterähnliche Skalen im Gegensatz zu „slide notes“ auf der anderen Seite. Da ich als einfacher Rechtshänder nur zwei Hände habe, lag es nahe, den Bogen mit der rechten Hand und den Dax mit der linken anzufassen. Daraus folgte unerbitterlich, daß der Kochlöffel und das mit ihm verklemmte Resonanzkästchen stationär und ohne zu wackeln installiert sein mußten. Die Tischkante war dafür immer gut genug, aber einmal gaben sie mir einen Tisch, der größer war als die ganze Bühne. Danach habe ich mir in mehrjähriger Gedankenarbeit ein dreibeiniges Gestell ausgedacht, das man zerlegen und in einer Tüte wegtragen kann. Ganz kurz zum Namen, weil oft danach gefragt wird: ich hatte damals eine schwedische LP mit dem Titel „Säugetierstimmen Nordeuropas, Teil 1“, auf der neben Wölfen, Ratten, Fleder- und Feldmäusen auch ein Dachs vorkam, der mir durch sein erstaunliches Klangspektrum imponierte, von ganz tief bis ganz hoch. Also Dachsophon, der Gag mit Adolphe Sax inbegriffen. Das „chs“ mußte ich später durch ein „x“ ersetzen, weil ich es leid war, diese Geschichte immer wieder zu erzählen. Wie die Tonhöhe des Kochlöffels im einzelnen manipuliert werden kann, ist nicht so einfach zu beschreiben. Es ist naheliegend: schaukelt man Richtung Fußende, wird der Ton tiefer, und umgekehrt. Hierbei ändert sich aber auch die Klangfarbe, was für das „Sprechen“ verantwortlich ist. Außerdem schwingt nicht nur der Teil vom Druckpunkt bis zum freischwebenden Ende, sondem auch die andere Seite bis zum Einklemmpunkt. Es macht einen großen Unterschied, an welcher Stelle des Brettchens man mit dem Bogen streicht: an der Spitze kommen ganz andere Töne als an den Seiten. Außerdem macht es einen Unterschied, ob man den Dax flach auf das Brett drückt oder nur auf dessen Seitenkante – der Klang und die Tonhöhe ist dann wieder anders, was den sehr verführerischen Jodel-Effekt ermöglicht. Eine verläßliche Tonskala wie bei Saiten gibts auch nicht – an irgendeiner Stelle kippt der Ton um (sowas wie Stimmbruch), und man findet sich in einer höheren oder tieferen Tonreihe. lch habe allerdings auch einige Brettchen, die lückenlos zwei Oktaven singen, ohne sich zu verschlucken. Aber das ist die Ausnahme. Nebenbei, das Daxophon funktioniert natürlich auch mit jedem anderen stabilen Material, wie Metall, Plexiglas usw. – aber im Vergleich zu Holz klingt das ziemlich leblos und steril. Daß ein Stück Zeder völlig andere Töne macht als ein Stück Ebenholz (auch bei identischen Maßen), brauche ich sicher nicht besonders zu erwähnen. Selbst zwei Brettchen, nebeneinander aus demselben Klotz geschnitten, klingen nicht gleich. Zu guter Letzt spielt auch noch die Form eine erhebliche Rolle – sobald man irgendwo ein größeres Loch ausbohrt oder eine Ecke wegsägt oder eine Kante messerartig anschleift, klingt das Ding wieder ganz anders. Kurzum, die Sache ist sehr unübersichtlich, man könnte auch sagen, uferlos. Dieses Ding, das ich Daxophon nenne, ist im Grunde nichts anderes als einer von x möglichen Prototypen – schon allein die Konstruktion des Resonanzkästchens oder die Plazierung der Tonabnehmer läßt viele Fragen offen, ganz zu schweigen von dem Rest. Ich könnte noch dies und das darüber erzählen, aber das mache ich lieber ein anderes Mal, oder auch nicht. Im Lauf der Zeit haben sich bei mir einige Dutzend Brettchen angesammelt, von denen jedes quasi ein Instrument für sich ist – gleichzeitig unvollkommen und einzigartig. Eins ist allen gemeinsam: sie sind eigenwillig und störrisch, wetterfühlig und launisch – sowas hat man ja gerne. Einige sind hübsch, andere eher unscheinbar bis unhübsch. Einige sind ausgesprochene Brüllaffen, andere murmeln lieber still vor sich hin. Manche sind vielseitig und kooperativ, manche wollen immer nur das Eine. Ich habe ihnen gut zugeredet, sie öfters auch aufs Übelste beschimpft oder auch schon mal einem kurzerhand den Kopf abgesägt … Musik kann Terror sein. Sag ich ja immer. | |